Emotionen im Urlaub: Warum kommt es gerade dann zu Spannungen in der Beziehung?
- Danijela Gvozdenović - Beraterin für Frauengesundheit
- 2. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 3 Tagen
Ihr habt Frieden geplant, Sonne, zwei Menschen, die endlich Zeit füreinander haben… Und dann? Kleine Gereiztheit, ein Kommentar, der „sticht“, Schweigen im Auto, Tränen, die ihr nicht erwartet habt.
Klingt das vertraut?
Der Jahresurlaub wird oft als ideale Gelegenheit für Nähe angesehen, doch die Realität kann überraschen. Gerade wenn wir ans Meer (oder in die Berge) kommen, wenn wir den Stress von den Schultern ablegen, tauchen die Emotionen auf, die wir unterdrückt haben. Und das ist in Ordnung. Im Folgenden sprechen wir darüber, warum das passiert und wie der Urlaub trotzdem zu einem Raum für Nähe wird, statt für Distanz.
WENN DIE ROUTINE VERDAMPFT, ENTSTEHT CHAOS (UND EINE CHANCE ZUM WACHSEN)
Im Alltag haben wir unsere kleinen Rollen und Aufgaben. Einer kocht, der andere fährt die Kinder, einer geht früher zur Arbeit, der andere bleibt länger. Ohne viel Worte weiss jeder, wo sein Platz ist, und das schafft ein Gefühl von Sicherheit. Im Urlaub verschwinden diese Muster. Es gibt keinen Zeitplan. Keine Chefs. Keine Schule.
Und genau dann fühlen viele Paare eine Desorientierung. Wer trifft die Entscheidungen? Wer ist „zuständig“ für die Organisation? Oft verhält sich eine Seite unbewusst wie zu Hause, während die andere einen völlig anderen Rhythmus erwartet. Psychologen nennen dies eine Krise der Struktur – wenn der Mangel an Routine unausgesprochene Dynamiken und Spannungen offenlegt.
Laut einer im Jahr 2019 veröffentlichten Studie erleben Paare, die keine klaren Absprachen über gemeinsame Zeit und Verantwortlichkeiten im Urlaub treffen, häufiger Konflikte gerade an Feiertagen oder freien Tagen.
Es klingt romantisch, den ganzen Tag zusammen zu verbringen, aber die Realität zeigt oft eine andere Seite. Wenn wir ständig in der Gegenwart des Partners sind, werden alle kleinen Unterschiede lauter. Die Art, wie er den Kaffee trinkt, das zu lange Scrollen am Handy, Kommentare über Ausgaben... all das, was wir im Jahr übergehen oder ignorieren, tritt nun in den Vordergrund.
Und es geht nicht darum, dass ihr euch nicht liebt, sondern dass ihr einfach nicht an so viel gemeinsamen Raum gewöhnt seid. Und das ist völlig in Ordnung. Paare, die in solchen Momenten „neugierig aufeinander bleiben“, stärken langfristig ihre Beziehung, wie auch eine Untersuchung des Harvard Center for Emotional Intelligence zeigt.
PERFEKTION ALS FEIND DER NÄHE
Viele von uns erschaffen unbewusst ein Bild des „perfekten Urlaubs“. Das Hotel muss wie auf Instagram sein. Das Frühstück perfekt. Die Kinder ruhig. Der Partner lächelnd. Und dann – die Realität! Ein Regentag. Vergessene Sonnencreme. Verspätungen. Und Frustration.
Wenn das Verhalten von jemandem (oder unser eigenes) das vorgestellte Szenario stört, schmerzt das oft nicht nur, weil der Plan nicht klappt, sondern weil wir in diesem Moment das Gefühl haben, „nicht gesehen“ oder „nicht wichtig“ zu sein. Erwartungen sind natürlich. Aber wenn sie starr werden, steigt der Druck.
In einer Umfrage unter 1.200 Paaren in Europa gaben über 45 % der Frauen an, dass sie im Urlaub mehr als sonst im ganzen Jahr versuchen, alles perfekt zu machen, was oft die Ursache für Stress und Konflikte ist.
UNTERSCHIEDLICHE RHYTHMEN – UNTERSCHIEDLICHE BEDÜRFNISSE
Ein Partner möchte Ruhe, der andere Action. Einer steht um sechs Uhr auf und macht Pläne, der andere träumt von einem Frühstück um elf. Und hier kommen wir zum Kern vieler Streitigkeiten: unterschiedliche Arten, die Batterien aufzuladen.
Aber Unterschiede sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass wir sie nicht anerkennen und nicht klar genug kommunizieren. Oft erwarten wir, dass der Partner „weiss“, was wir brauchen. Doch die Wahrheit ist, dass wir uns alle verändern und das, was uns früher gutgetan hat, vielleicht nicht mehr funktioniert.
Ein guter Urlaub bedeutet nicht für alle dasselbe. Und es muss nicht alles gemeinsam sein. Oft ist gerade die Kombination aus Zeit zusammen und Zeit getrennt das, was uns am meisten erfrischt.
WENN DAS VERDRÄNGTE ANS LICHT KOMMT
Im Urlaub verschwinden die Ablenkungen. Und genau dann beginnen Körper und Geist, sich zu „entspannen“. Dinge kommen hoch, die wir ignoriert haben, weil „keine Zeit“ war. Kleine Verletzungen, Erschöpfung, Enttäuschungen. Es ist nicht selten, dass wir in der ersten Urlaubswoche Traurigkeit, Wut oder emotionale Verletzlichkeit ohne klaren Grund spüren.
Psychologen nennen dies emotionale Entgiftung. Der Urlaub bringt nicht nur Entspannung, sondern auch Konfrontation. Und das beinhaltet oft Unannehmlichkeiten. Wichtig ist zu wissen, dass das normal ist und keine Anzeichen für „Probleme in der Beziehung“ sind, sondern ein natürlicher Prozess der Befreiung.
In Zeiten, in denen die Erwartungen steigen und der Raum für Abweichungen klein wird, greifen wir oft zu Schweigen, mürrischen Blicken, Sarkasmus oder Rückzug. Weil wir denken, „es ist nicht der richtige Moment für ein Gespräch“.
Dabei ist genau dann der richtige Moment. Es muss keine lange Therapiesitzung sein. Es reicht, wenn jemand fragt: „Was brauchst du gerade?“ oder „Wie fühlst du dich?“ Anstatt zu raten, frag. Anstatt zu urteilen, hör zu.
WIE DU DEN URLAUB (TROTZDEM) ZU EINEM RAUM DER NÄHE MACHST
Realistische Erwartungen setzen
Bevor ihr die Koffer packt, setzt euch und sprecht ehrlich. Was erwartet jeder von euch? Was ist euch am wichtigsten? Das kann viele Missverständnisse verhindern und hilft, einen Plan zu machen, der mehr euer ist als ein fremdes Ideal aus der Werbung.
Individuellen Raum respektieren
Ihr müsst nicht ständig Händchen halten. Eine Stunde Stille, ein Kaffee allein, ein Buch lesen – das ist keine Distanz, das ist Erneuerung. Wenn ihr euch nach diesen kleinen Pausen wiederseht, wächst die Qualität der Nähe.
Über Gefühle sprechen, ohne Vorwürfe
„Ich fühle mich überfordert…“, „Mir fehlt ein bisschen Ruhe…“ – solche Sätze öffnen Türen, statt sie zuzuschlagen. Kommunikation ist einfacher, wenn wir keinen Schuldigen suchen, sondern Verbindung.
Kompromisse üben
Es muss nicht alles nach eurem oder seinem Mass sein. Wenn ihr heute shoppen geht, lasst morgen einen planlosen Tag sein. Dieser Tanz zwischen Wünschen schafft einen lebendigen, tragfähigen Rhythmus.
Fokus auf kleine Momente
Lächeln. Eine Umarmung im Wasser. Das Teilen eines Eis. Ein Lied, das euch an etwas Schönes erinnert. Diese Momente sind nicht banal, sondern die Bausteine, aus denen Sicherheit entsteht.
Einen gemeinsamen Entspannungsrhythmus finden
Das kann ein Spaziergang in Stille sein, das Betrachten eines Sonnenuntergangs, fünf Minuten gemeinsames Atmen. Es muss nicht gross sein, nur authentisch.
Der Urlaub kann ein Terrain sein, auf dem „Lawinen losgetreten“ werden, aber auch ein Boden, auf dem neues Vertrauen gesät wird. Es ist kein Problem, wenn ihr manchmal „aus der Spur geratet“, wichtig ist, wie ihr zueinander zurückfindet.
Also, wenn das nächste Mal Spannungen aufkommen, geratet nicht in Panik! Vielleicht ist es nur ein Zeichen, dass ihr Raum habt, um zu wachsen – zusammen. Und dass ihr keinen perfekten Plan braucht. Ihr braucht Aufmerksamkeit, Kontakt und die Entscheidung, füreinander da zu sein.
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